Der Substanzwert: Auf der Suche nach einer Chimäre

10.05.2022
Author wevalue AG

Der Substanzwert und die Chimäre sind beide ein Mythos: Mischwesen, mit hoher symbolischer Bedeutung, besonders – was den Substanzwert betrifft – für die Schweiz.

Zunächst

Noch 1998 stellte Helbling fest, «dass ein Unternehmensbewertungsgutachten, in dem der Substanzwert nicht ermittelt und kommentiert ist, als nicht fachgerecht bezeichnet werden muss» (Helbling, Unternehmensbewertung und Steuern, 1998, S. 86). Seit 2006 ist der Substanzwert auch fester Bestandteil der im Kreisschreiben 28 (KS 28) niedergelegten Bewertungsmethode für die Bewertung von Wertpapieren ohne Kurswert. Dieser Formelwert gilt auch in anderen Zusammenhängen (bspw. Mitarbeiteraktien) als steuerlicher Safe Haven.

Substanzwert gleich Mindestwert?

Wir wurden in diesem Zusammenhang gefragt, welche Bedeutung ein über dem Ertragswert liegender Substanzwert hat. Konkret, ob es zulässig sei, diesen bei der Suche nach einem Verkehrswert als Mindestwert anzunehmen.

Einordnung des Substanzwerts

Dazu muss der Substanzwert zunächst eingeordnet werden:

  1. Die Substanz eines Unternehmens ist wertrelevant: Was bereits vorhanden ist, muss nicht beschafft werden und spart dem Investor Geld. Im Sinne dieser ersparten Ausgaben ist die Substanz integraler Bestandteil eines jeden DCF-Verfahrens (Sieben/Maltry in Peemöller: Praxishandbuch Unternehmensbewertung, 2019, S. 835).
  2. In Mischverfahren aus Ertrags- und Substanzwert (Praktikerverfahren) geht die Substanz als gesondert berechnetes Element in die Wertberechnung ein. Dies lässt sich bewertungstheoretisch als Modell zum Abschmelzen von Übergewinnen deuten (Moxter, 1983, S. 45 f.). Die Rezeption in der Praxis ist allerdings häufig eine andere. Auch dass die Substanz im KS 28 auf Basis der um stille Reserven und latente Steuern angepassten Handelsbilanz abgeleitet wird, ist eine unzutreffende aber bei Massenverfahren zu akzeptierende Vereinfachung. Weniger falsch wäre es, auf Rekonstruktions- oder Wiederbeschaffungswerte abzustellen, welche die «Nachbaugefahr» abbilden. Allerdings bleibt auch dies nur eine Näherungslösung. Da wesentliche immaterielle Werte aussen vor bleiben, handelt es sich allenfalls um einen Teilrekonstruktionswert.
  3. Als eigenständiges Verfahren ist eine Substanzbewertung nur dann sinnvoll, wenn aus dem Zusammenwirken der Vermögensteile kein Mehrwert zu erwarten ist. Dies kann bei einer Vermögensverwaltung oder einer Holding der Fall sein. Weiters auch bei Unternehmen, von denen Leistungen und keine finanziellen Überschüsse erwartet werden, etwa Non-Profit-Organisationen (öffentliche Versorgung, karitative Zwecke etc.). Auch hier kommen Rekonstruktions- oder Wiederbeschaffungskosten zum Ansatz.
Was heisst das nun?

Um auf die uns gestellte Frage zurückzukommen: Ein zusätzlich zum Ertragswert ermittelter Substanzwert ist konzeptionell stets ein Teilrekonstruktionswert. Dabei handelt es nicht um den Mindestwert für das Unternehmen, sondern um den Mindestbetrag für dessen (Teil-)Reproduktion (Moxter, a.a.O., S. 43). Ob sich ein Nachbau lohnt, kann nur gemeinsam mit dem Ertragswert beantwortet werden: liegt dieser unter dem Substanzwert, spricht nichts dafür. Ein Goodwill oder Badwill (Ertragswert grösser bzw. kleiner Substanzwert) lässt sich daraus nicht ableiten. Dafür kommt es auf den tatsächlich bezahlten Kaufpreis an (Münstermann, Wert und Bewertung der Unternehmung, 1966, S. 140). Dass ein Käufer einen über dem Ertragswert liegenden Substanzwert bezahlt, lässt sich ökonomisch also nicht begründen. Insoweit scheidet ein auf Fortführungswerten basierender Substanzwert als Vorstellung für einen Mindestverkehrswert aus.

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